this post was submitted on 02 Mar 2025
33 points (100.0% liked)

Wehrhafte Demokratie

546 readers
59 users here now

Demokratie ist leider nicht selbstverständlich. Diese Community ist für alle, die bereit sind liberale Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit zu verteidigen und um die im Laufe der Geschichte gefallenen Helden zu würdigen. Schwurbler, Monarchisten, Nazis, Tankies und andere Fans von Autokratischen Systemen oder Personen, die den Begriff „Demokratie“ beschmutzen sind nicht erwünscht.

Lemmy-Zweigstelle von r/WehrhafteDemokratie

Schwestercommunities:

!wehrhaftesaustria@feddit.org

!wehrhafteschweiz@feddit.org

!antifade@feddit.org

!antifayoutube@feddit.de

!wehrhaftesaustria@feddit.de

founded 8 months ago
MODERATORS
 

Bei einer Kontrolle an der Mannheimer Kurpfalzbrücke nahm ein Polizist einen 27-jährigen Nigerianer unvermittelt in einen Würgegriff.

Anschließend musste sich das Opfer als Angeklagter vor Gericht verantworten – doch es gibt ein Video zum Vorfall.

Eigentlich wollte er "nur nach Hause und schlafen", berichtet Eric Clifford Omoregie. Der 27-Jährige lebt mit seiner Freundin und zwei Kindern in Ludwigshafen und arbeitet als Pflegefachkraft in Mannheim.

Im Oktober 2023 war er mit einem E-Scooter auf dem Heimweg von einer anstrengenden Nachtschicht, als er auf der Kurpfalzbrücke in eine Polizeikontrolle gerät.

Mit dabei ist eine heute 22-jährige Polizistin, die von ihrem erfahreneren Kollegen lernen soll, wie Verdächtige einem Alkohol- und Drogentest unterzogen werden.

Omoregie kam 2016 aus Nigeria nach Deutschland. Kontext gegenüber erzählt er, dass er in seinem Alltag Erfahrungen mit Rassismus habe: "Natürlich wurde ich schon mal beleidigt: im Pflegeheim, auf der Straße oder in der Straßenbahn, sogar beim Fußballspielen." Aber er nehme das nicht so ernst und drücke immer ein Auge zu.

Auch mit der Polizei sei er bislang gut ausgekommen, auch wenn es nicht die erste Polizeikontrolle ist, in die er als schwarzer Mann geraten ist. Doch die Geschehnisse auf der Kurpfalzbrücke hatten eine andere Qualität: "Dieses Mal war es anders, ich wurde richtig schlecht von den Beamten behandelt."

Den Ablauf schildert er so: Bei der Kontrolle wollten die beiden Polizist:innen als erstes seinen Ausweis sehen und fragen dann schnell nach Alkohol- und Drogenkonsum. Da Omoregie vom Arbeiten kommt, war er nüchtern und gibt das auch so an.

Trotzdem soll er an Ort und Stelle einen Urintest abgeben. Das ist ihm auf offener Straße unangenehm, deshalb möchte Omoregie das nicht. Der Polizist wird zunehmend aggressiver.

Omoregie holt deshalb sein Handy heraus und möchte das Gespräch mitschneiden. Daraufhin eskaliert die Situation, der Polizist drückt sein Oberkörper über ein Brückengeländer.

Omoregie beschreibt: Er hatte Schmerzen und das Gefühl er könne "an diesem Tag sterben, aber ich habe überlebt".

Kurz darauf kommt polizeiliche Verstärkung dazu. Omoregie werden Handschellen angelegt und er wird – ohne ihn anzuschnallen und in hohem Tempo – in das nächste Polizeirevier gefahren.

Dort wird ein Arzt hinzugeholt, um ihm Blut abzunehmen. Omoregie ist zu diesem Zeitpunkt völlig aufgelöst, sagt er. Er habe gezittert und geweint, nachdem er "wie Dreck behandelt" und als "Penner" bezeichnet worden sei.

Der Arzt habe ihm jedoch nicht geholfen, sondern ihn "ausgelacht" und gesagt, er benehme sich wie ein kleines Kind. Das Ergebnis der Alkohol- und Drogentests ist schließlich negativ, so wie es Pflegefachkraft Omoregie von Anfang an angegeben hatte.

Nach dem Vorfall beschließt Omoregie, Anzeige gegen den Polizisten zu erstatten, denn "die Art, wie ich behandelt wurde, war sehr unmenschlich". Und er wollte nicht, "dass die Geschichte einfach vergessen wird". Für sein Recht einstehen zu wollen, hatte in diesem Fall allerdings ein Nachspiel.

Zuerst musste Omoregie noch einmal aufs Polizeirevier, um eine Aussage zu tätigen. Da er große Angst hatte, dort noch einmal allein zu sein, wandte er sich hilfesuchend an die Beratungsstelle Leuchtlinie, die Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Baden-Württemberg unterstützt.

Julian Staiger, gelernter Sozialarbeiter, arbeitet dort seit circa dreieinhalb Jahren und begleitete Eric Clifford Omoregie: Bei seiner Zeugenaussage, als das Verfahren gegen den Polizisten eingestellt wurde, Omoregie dafür eine Gegenanzeige bekommt und schließlich beim Prozess Ende Januar am Amtsgericht in Mannheim.

Dort muss sich Omoregie verantworten, angeklagt ist er wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzlicher Körperverletzung und tätlichem Angriff.

Denn die am Einsatz beteiligten Polizist:innen stellen den Verlauf ganz anders da. Omoregie berichtet, ihm sei vor Prozessbeginn vieles durch den Kopf gegangen: "Ich war sehr nervös und hatte Angst, ob die Leute meine Geschichte glauben."

Zur Verhandlung erscheint der anklagende Polizist nicht, er ist krankgeschrieben, als einzige Zeugin tritt seine junge Kollegin auf.

In ihrer Aussage beschuldigt sie Omoregie, dieser habe sich hysterisch verhalten, ihr erfahrener Kollege habe den Angeklagten geradezu sanft behandelt, sich stets um Deeskalation bemüht und zudem einen Fluchtversuch abwehren müssen.

Allerdings steht diese Aussage im Widerspruch zu dem, was auf Videoaufnahmen zum Vorfall zu sehen ist: Auf der Kurpfalzbrücke filmen Kameras der Stadt Mannheim mit, das Material belegt, dass Omoregie das Geschehen wahrheitsgetreu wiedergegeben hat.

Ein Fluchtversuch und hysterisches Verhalten sind hingegen nicht erkennbar. Die Aussage der jungen Polizistin sei "im Detail schlicht falsch", sagt Patrick Senghaus, der Rechtsanwalt von Eric Clifford Omoregie, gegenüber Kontext – und rät der 22-jährigen Polizistin, dass es nicht zur Gewohnheit werden solle, vor Gericht Unwahrheiten zu verbreiten.

In der Verhandlung wurde die Zeugin mit den Widersprüchen zwischen ihren Angaben und der Videoaufnahme konfrontiert und räumte schließlich ein, den Vermerk ihres Kollegen zum strittigen Einsatz gelesen und die Darstellung übernommen zu haben.

Darin hatte der dienstältere Polizist noch ausgeführt, dass er sich bei einem Gerangel mit dem Angeklagten eine Hüftprellung zugezogen habe und eine mögliche Entschuldigung daher nicht akzeptieren werde.

Das Video zeigt Omoregie jedoch, wie er ruhig dasteht, ehe der Polizist unvermittelt einen Schmerzgriff anwendet und ihn gegen das Brückengeländer presst.

"Das hat mich schon sehr erschüttert", sagt Anwalt Senghaus. "Da ist eine junge Frau, die will sich eigentlich in den Dienst des Gesetzes stellen und hat dann nicht die Courage, es so wiederzugeben, wie es gewesen ist."

Dass es anders gehen kann, beweist ein Prozess im Februar am Amtsgericht Hamburg-Harburg. Dort hatte ein junger Polizist seinen älteren Kollegen angezeigt. Dieser hatte unrechtmäßige Gewalt bei einem vorläufig Festgenommenen angewendet und wurde am Ende dafür zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt.

Es ist eine Seltenheit, dass Polizist:innen wegen Polizeigewalt verurteilt werden. Anwalt Senghaus, der öfter solche Fälle bearbeitet, sagt, sein Mandant hat einfach nur das "Glück gehabt", dass dieser Brückenbereich "grundsätzlich kameraüberwacht ist".

Er wünsche sich eingeschaltete Bodycams der Polizei bei solchen Einsätzen, "weil die dann einfach den Ablauf zeigen". Senghaus ist der Meinung, "dass man durch Bodycams im Prinzip auch die Polizei dazu anhält, sich gesetzeskonform zu verhalten".

Eigentlich wurden Bodycams genau für Einsätze eingeführt, bei denen Widerstand geleistet wird, um die Polizei vor Angriffen zu schützen – unter der gegenwärtigen Rechtslage liegt es allerdings in den Händen der Beamt:innen, ob die Kamera mitläuft oder nicht.

Schlussendlich hat das Amtsgericht Mannheim Eric Clifford Omoregie von allen Vorwürfen freigesprochen und zudem das Handeln der Polizei als rechtswidrig eingestuft.

Omoregie berichtet, dass er nach der Verhandlung sehr erleichtert war. Auch sein Berater von Leuchtlinie sagt im Anschluss über den Freispruch: "Das ist was sehr Schönes."

Zugleich findet es Staiger aber auch "erschreckend", dass es so eine "große positive Überraschung" ist, wenn eine Person, die rassistische Polizeigewalt erfährt und dann eine Gegenanzeige bekommt, freigesprochen wird.

Unklar ist noch, ob Omoregies Anzeige gegen den Polizisten nun wieder aufgenommen wird. Zudem könnte die junge Polizistin wegen Falschaussage vor Gericht angeklagt werden. Auf Anfrage von Kontext schreibt eine Sprecherin der Mannheimer Staatsanwaltschaft, beides werde geprüft.

top 6 comments
sorted by: hot top controversial new old
[–] Don_alForno@feddit.org 4 points 4 hours ago* (last edited 2 hours ago)

Allerdings steht diese Aussage im Widerspruch zu dem, was auf Videoaufnahmen zum Vorfall zu sehen ist: Auf der Kurpfalzbrücke filmen Kameras der Stadt Mannheim mit, das Material belegt, dass Omoregie das Geschehen wahrheitsgetreu wiedergegeben hat.

Warum wurde dann das Verfahren gegen den Polizisten eingestellt?

"Das hat mich schon sehr erschüttert", sagt Anwalt Senghaus. "Da ist eine junge Frau, die will sich eigentlich in den Dienst des Gesetzes stellen und hat dann nicht die Courage, es so wiederzugeben, wie es gewesen ist."

Die Dame bitte gleich mit anzeigen. Eigentlich sollte uneidliche Falschaussage bei Polizisten härter bestraft werden.

[–] Black616Angel@discuss.tchncs.de 9 points 14 hours ago

Dass die Polizistin nicht direkt vor Ort ihren Job verloren hat, ist eine absolute Frechheit. Ebenso ihr rassistischer Kollege. Such die Frechheit, dagegen zu klagen. Unfassbar. Dafür werden unsere Steuergelder rausgeschmissen... Für Rassisten und Einschüchterungsprozesse.

[–] SCmSTR@lemmy.blahaj.zone 2 points 13 hours ago

Liberal American here,

I hate that stuff like this happens. It seems to me that even in Europe, cops get a weird light handed punishment. Thats wrong to me. If you hold power, you should be the most watched and stripped of power, especially with how politics are now with the resurgence of fascism everywhere.

Humanity needs a restructuring of philosophy, morality, and law. Too long have things innocent been found guilty, and things not innocent made standard.

[–] TanteRegenbogen@feddit.org 12 points 1 day ago (1 children)

Hoffentlich werden die beteiligten Polizistys für Falschaussagen und so belangt. Auch darum wären Bodycams wichtig.

[–] blubfisch@discuss.tchncs.de 3 points 13 hours ago (1 children)

Ich habe leider überhaupt kein Vertauen, dass Bodycams irgendetwas besser machen. Die Geräte bleiben unter der Kontrolle der Polizist:innen. Und denen ist ja bewusst, dass sie sich bei ihrem Fehlverhalten "schützen" müssen. Dann sind die Geräte halt zufälligerweise verdeckt, nachher kaputt, die Aufnahmen versehentlich gelöscht.

[–] Laser@feddit.org 4 points 13 hours ago

Die Lösung:

Eine Regelung, die besagt, dass bei fehlenden Aufnahmen der Bodycams nur die Aussage der Gegenseite zählt. Ich bin mir sicher, danach funktionieren die.